Trauer



Verlornes Glück

Die Bäume rauschen hier noch immer,
Doch sind's dieselben Blätter nimmer,
Wie einst in jener Sommernacht.
Wohin, du raues Erdenwetter,
Hast du die damals grünen Blätter,
Wohin hast du mein Glück gebracht?

Sie schritt mit mir durch diese Bäume,
Ihr gleicht kein Bild beglückter Träume,
So schön und doch so treu und klar;
Das Mondlicht ruht' auf ihren Wangen,
Und ihre süßen Worte klangen:
"Dich wird' ich lieben immerdar!"

Je tiefer mit den Räuberkrallen
Der Tod in's Leben mir gefallen,
Je tiefer schloss ins Herz ich ein
Den Schatz der Lieb', dem Tode wehrend;
Doch bricht der Räuber, allbegehrend,
Zuletzt nicht auch den letzten Schrein?

Nicolaus Lenau


An der Bahre der Geliebten

Blass und auf immer stumm, auf immer! liegst du
Hingestreckt, o Geliebte, auf der Bahre!
Deine Reize lockten den Tod, er kam, er
Hält dich umarmet!

Einst in der Kühlung leiser Abendwinde
Saßen wir am Gemurmel eines Baches,
Und ich sprach aus zitternder Seele dir: "Ich
Liebe dich ewig!"

Aber du neigtest sinnend nach den Wellen,
Nach den flüchtigen, tief dein schönes Antlitz,
Wie ergriffen von dem Geflüster dunkler
Stimmen der Zukunft.

Schmerzlich berührt von deinem Schweigen, frug ich,
Ob vernommen das Wort du meiner Seele,
Und du nicktest hold; doch es dünkte mir dein
Nicken zu wenig. -

Glühende Tränen stürzen mir vom Auge,
Und sie pochen an deine kalte Stirne,
Ach, von der geflohen dahin das stille
Sinnen der Liebe.

Meine gebrochne Stimme ruft dir bange
Nach: "Ich liebe dich ewig!" O wie selig
Wär' ich nun, antwortete meinem Schmerz dein
Leisestes Nicken!

Nicolaus Lenau


Erste Liebe

Tränen tauen still vom Auge nieder,
In Erinn'rung längst entschwundner Lust;
Nie ach! hebt in solchem Glück sich wieder
Je so lebenvoll und warm die Brust.

Als in jenen schönen Frühlingstagen,
Da zum erstenmal mich traf dein Blick,
Und ich ahnungsvoll mit süßem Zagen
Fühlte nahen mir der Liebe Glück.

Schön und golden flossen da die Stunden,
Hoch begeistert war mein junger Sinn;
Liebe, die ich damals tief empfunden,
Ist auf ewig wie ein Traum dahin!

Vieles hat die Brust seitdem durchzogen,
Hohe Freude, tiefe Seelenpein,
Doch in des bewegten Lebens Wogen
Ging nie unter jener Tage Schein,

Der mir noch dein süßes Bild erhellet,
Das, ein Heiligtum, im Innern steht,
Und dem ewig Schönen beigesellet
Nie in meiner Seele untergeht!

Rosa Maria


An die Tote

Ich möchte bitter weinen,
Dass du gestorben bist;
Und doch will es mir scheinen,
Dass es so besser ist.

Es wär' dein schöner Glaube
Zerfallen in der Welt,
Gleichwie im Herbst zu Staube
Des Frühlings Rose fällt.

Dich hätte jeder Kummer
Leicht wie ein Rohr gebeugt;
Wohl dir in deinem Schlummer,
Wo selbst das Träumen schweigt!

Von meinem heißen Lieben,
Das nun für ewig dein,
Wär' nur dir übrig blieben
Des Treubruchs Schmerz allein.

Ich möchte bitter weinen,
Dass du gestorben bist;
Und doch will es mir scheinen,
Dass es so besser ist.

Moritz Hartmann


Erinnerung

Erinn'rungsvoller Baum, du stehst in Trauer;
Dein Laub ist welk, mein Leben ist es auch.
Mein Herz durchziehen bange Wehmutschauer,
Wie dein Gezweig' des Herbstes kühler Hauch.

Hier saßen wir in abendlicher Stille,
Sanft bebte über uns dein flüsternd Grün,
Auf jenen Höh'n, die nun in Nebelhülle,
Verweilte noch der Sonne letztes Glüh'n.

Wie selig hielt das Mädchen ich umfangen
Und horchte ihrem leisen Liebesschwur;
Und holder lachten uns die Blütenwangen
Der auferwachten göttlichen Natur.

Doch hatte kaum der Lenz die sanfte Seele
Verhaucht und seine Blüten hingestreut,
Kaum war verhaucht im Hain die süße Kehle:
War auch dahin der Liebe Seligkeit.

O traure, Herz, vorüber sind die Tage,
Da liebend dir ein Herz entgegenschlug,
Die andern schleichen hin in stiller Klage,
Der toten Liebe finstrer Leichenzug.

Nicolaus Lenau


Trost

Ich will mit Liebestönen
Mein sehnend Herz erheitern,
Ich will im ewig Schönen
Mein enges Sein erweitern.

Zum Trotz den Todesgluten
Der Liebe will ich leben,
Will auf des Lebens Fluten
Wie Schwäne selig schweben.

Kann ich auch nie vergessen
Die süßen Sternenaugen,
Was sollen mir Zypressen
Statt Ros' und Lorbeer taugen?

Ich will im ewig Schönen
Mein enges Sein erweitern,
Ich will mit Liedestönen
Mein sehnend Herz erheitern.

Robert Hamerling


Scheiden

Wer in hilflosem Jammer
Sein Liebstes sterben sieht,
Der weiß nicht, welche Klammer
Ihn noch zur Erde zieht.

Sie weinte, als sie bange
Auf ewig Abschied gab,
Die Träne rann die Wange
Der Toten sanft herab.

O Trän' aus liebem Auge
In bittrer Scheidestund',
O Träne, trübe Lauge,
Du brennst das Herz mir wund!

Nichts beut dem kranken Herzen
Als weher Trost sich dar,
Dass es das letzte Schmerzen,
Die letzte Träne war.

Ludwig Anzengruber


Ob sie wohl kommen wird?

Möchte wissen, wenn ich bald
Begraben werde sein,
Und auf meinem Grabe steht
Ein Kreuzlein oder Stein.

Und man vor Riedgras kaum
Das Grab zu sehn vermag,
Ob sie wohl kommen wird
Am Allerseelentag.

Ob sie den feuchten Blick
Wohl senket niederwärts,
Ob sie bei sich nicht denkt:
Hier ruht ein treues Herz!

Ob sie um meinen Stein
Ein kleines Kränzchen flicht,
Ob sie für meine Ruh
Ein Vaterunser spricht.

Gewiss, sie wird wohl kommen,
Zu beten, auf mein Grab;
Sie weiß, dass ich sonst keinen
Für mich zu beten hab.

Moritz Gottlieb Saphir


Die liebe Stelle

Ja, das ist die liebe Stelle,
Wo ich sie zuerst gesehn!
Wie so leis' erklingt die Welle,
Wie so sanft die Lüfte wehn!

Jene Felsen, jene Büsche,
Jener Schatten Einsamkeit,
Jener Grotten duft'ge Frische
Mahnt mich an vergangne Zeit.

Alles mahnt mich, alles zeiget
Mir aufs neu ein teures Bild,
Und die Seele still sich neiget,
Und der stumme Seufzer quillt.

Jene Felsen stehn gegründet
In der Erde tiefstem Schoß,
Doch der Sonne Glanz verschwindet,
Der mit Rosen sie umfloss.

Und so geht die Blüte nieder,
Im Gesange nur erneut,
Ach, kein Sehnen bringt sie wieder,
Erste Liebe, sel'ge Zeit!

Otto Roquette


O stille, still!

Dereinst in schönen Tagen fand
Ich Glück in einer lieben Hand;
Wie viel ihr warmer Druck mir galt! -
O stille, still! - Die Hand ward kalt!

Einst tat auch mir ein süßer Mund
Des Daseins schönste Rätsel kund;
Ein Wort, ein Kuss - was gab ich drum! -
O stille, still! - Der Mund war stumm!

Einst hat auch mir in Sturmesnacht
Ein Auge Tröstung zugelacht!
Wie mir sein Blick zu Herzen sprach! -
O stille, still! - Das Auge brach.

Einst schlug auch mir im Menschenschwarm
Ein Herz so treu, ein Herz so warm.
Wir teilten Wonne, Kampf und Not. -
O stille, still! - Das Herz ist tot!

Ernst Scherenberg


Allerseelen

Stell auf den Tisch die duftenden Reseden,
Die letzten roten Astern trag herbei
Und lass uns wieder von der Liebe reden,
Wie einst im Mai!

Gib mir die Hand, dass ich sie heimlich drücke,
Und wenn man's sieht, mir ist es einerlei;
Gib mir nur einen deiner süßen Blicke,
Wie einst im Mai!

Es blüht und funkelt heut' auf jedem Grabe,
Ein Tag im Jahre ist den Toten frei;
Komm an mein Herz, dass ich dich wieder habe,
Wie einst im Mai!

Hermann von Gilm


Gute Nacht

Die Höhen und Wälder schon steigen
Immer tiefer ins Abendgold;
Ein Vöglein fragt in den Zweigen,
Ob es Liebchen grüßen sollt.

O Vöglein, du hast dich betrogen!
Sie wohnt nicht mehr im Tal.
Schwing dich auf zum Himmelsbogen,
Grüß sie droben zum letzten Mal!

Joseph Freiherr von Eichendorff


Süße Täuschung

Oft, wenn ich bei der Sterne Schein
Zum Kirchhof meine Schritte lenke
Und mich so tief, so ganz hinein
In jene selge Zeit versenke,
Wie wir zusammen Hand in Hand
Hier wandelten in stillem Wehe,
Da ist es mir, als ob das Band
Noch immer heiter fortbestehe.

Wir gehen fort und immer fort
Und schaun die Gräber in der Runde,
Du hast für jegliches ein Wort
Und sprichst es aus mit sanftem Munde,
Du sprichst vom frühen Schlafengehn
Und von der Eitelkeit der Erde
Und von dem großen Wiedersehn,
Das Gott uns nicht versagen werde.

Und kommt zuletzt dein eigen Grab,
So rufst du aus: "Wir müssen scheiden!
Der Vater ruft die Tochter ab.
Wir wußten's längst und wollen's leiden!"
Und ruhig wandle ich hinaus,
Wie einst aus deines Vaters Garten,
Wenn er dich heim rief in das Haus,
Du aber sprachst, ich solle warten.

Friedrich Hebbel


Dein Sessel

Dein Sessel am Kamin steht lange leer ...
Und war so süß, das Beieinandersein,
Wenn über deine Stirn der Flammenschein
Hinleuchtete und wie ein roter Bach
Um deine regungslosen Hände rann. -
So schweigsam war, so heimlich das Gemach,
Als wären wir auf weiter Welt allein,
Nur unsre Sehnsucht flüsterte hinein
In jene Stille, flüsterte und sann ...
Du sahst mich jählings gar so seltsam an
Und sprangest auf, und wie zu Tod erschrocken
Bargst du die wilden, widerspenst'gen Locken
Mir tief im Schoß. -

Ich liebte sie so sehr,
Die kühle Flut, und meine Hände glitten
Darüber hin und wiegten deine Bitten,
Dein ungestümes Wünschen spielend ein ...
Es war so süß, das Beieinandersein.

So schweigsam ist's, so heimlich rings umher ...
Die alte Sehnsucht wacht mir auf im Blut,
Ich werfe Scheite in die träge Glut,
Da knistert sie und schaut sich suchend um -
In deinen Locken spielt sie nimmermehr,
Dein Sessel am Kamin steht lange leer ...

Anna Ritter